Pressemitteilung: Wegweisender Landtagsbeschluss zur Förderung von Frauenmilchbanken in Schleswig-Holstein

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HAMBURG — 10. Dezember 2020 — Der Landtag Schleswig-Holstein nahm heute den gemeinsamen Antrag der Abgeordneten des SSW sowie der Fraktionen von CDU, SPD, Bündnis 90/die Grünen und FDP zum Thema „Aufbau von Frauenmilchbanken fördern“ einstimmig an.

„Der Landtagsbeschluss ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer flächendeckenden Versorgung bedürftiger Frühgeborener mit hygienisch einwandfreier Spenderinnenmilch. Wir begrüßen die überaus positiven Stellungnahmen aller Landtagsfraktionen und der Landesregierung. Nun ist es wichtig, dass der Beschluss zeitnah umgesetzt und angemessene Mittel in den Haushalt eingeplant werden, damit Kliniken in Schleswig-Holstein schon bald Frauenmilchbanken aufbauen und betreiben können“, so die deutschlandweit aktive Frauenmilchbank-Initiative (FMBI).

Die Landtagsabgeordneten beschlossen, die Landesregierung solle „den Aufbau und die Inbetriebnahme von Frauenmilchbanken für Kliniken mit einem Perinatalzentrum Level 1 in Schleswig-Holstein [...] prüfen und modellhaft [...] fördern“. Außerdem riefen die Fraktionen die Regierung auf, sich durch Gespräche mit den Krankenkassen sowie auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass Krankenkassen zukünftig „eine auskömmliche Betriebskostenfinanzierung“ von Frauenmilchbanken sicher stellen.

Im September 2020 hatte die FMBI die gesundheitspolitischen Sprecher aller Fraktionen des Landtags Schleswig-Holstein und weitere Mitglieder des Sozialausschusses mit der Bitte angeschrieben, den Aufbau von Frauenmilchbanken zu fördern. Am 22. Oktober trug die FMBI auf Antrag des gesundheitspolitischen Sprechers des SSW, Christian Dirschauer, im Sozial- und Gesundheitsausschuss des Landtages vor. Die FMBI-Mitglieder Dr. Ann-Carolin Longardt (Oberärztliche Leiterin der Neonatologie an der Universitätsklinik Schleswig-Holstein in Kiel) und Dr. Barbara Naust (Oberärztin der Neonatologie am Klinikum Itzehoe) berichteten von dem Plan, Frauenmilchbanken an ihren Kliniken aufzubauen, um den kleinsten Patientinnen und Patienten einen optimalen Start ins Leben zu ermöglichen. „Ganz zu Anfang kann man die Weichen für ein ganzes Leben stellen und es haben gerade die Allerkleinsten unsere größtmögliche Unterstützung verdient“, erklärte Dr. Naust. FMBI-Geschäftsführerin Anne Sunder-Plaßmann gab einen Überblick über das Comeback der Frauenmilchbanken in Deutschland, Europa und weltweit.

Bereits am darauffolgenden Tag reichten Abgeordnete des SSW im Landtag einen Antrag ein, in dem sie die Landesregierung aufforderten, den Aufbau und die Inbetriebnahme von Frauenmilchbanken modellhaft finanziell zu fördern. Am 28. Oktober wurde dieser in unveränderter Form gemeinsam mit der SPD erneut gestellt. Am 19. November einigten sich dann alle Fraktionen auf einen leicht veränderten Antragstext, der nun am 10. Dezember im Landtag debattiert und beschlossen wurde.

Unmittelbar vor der Abstimmung drückten die gesundheitspolitischen Sprecher der Fraktionen ihre Unterstützung für das Vorhaben aus:

Christian Dirschauer (SSW): „Die überwältigende Mehrheit der Perinatalzentren Deutschlands hat [...]  keinen Zugang zu Spendermilch. Es ist nur folgerichtig, dass wir das in unserem Zuständigkeitsbereich ändern. Man könnte meinen, dass eine Frauenmilchbank entbehrlicher Luxus ist. Aber [...] Muttermilch [hat] nicht nur einen positiven Einfluss auf die Entwicklung, sondern auch auf den Lebensverlauf eines Menschen. Sie beinhaltet viele Stoffe, die nicht synthetisch herzustellen sind und daher in industriell gefertigten Ersatzprodukten fehlen [...]  Gerade [der] präventive Effekt ist uns besonders wichtig. Nicht nur weil er Kosten spart, sondern weil er Leid verhindert.“

Hans Hinrich Neve (CDU): „Die Muttermilch und besonders das Kolostrum ist unverzichtbar für den Start ins Leben [...] Kein Pharmaunternehmen ist in der Lage, ein Produkt dieser Komplexität zu produzieren. Und hier, die Natur schenkt es uns! Wir müssen es nur nutzen, wir müssen es wollen. Für jedes neugeborene Kind ist es lebenswichtig, aber für die Frühgeborenen überlebenswichtig.“

Birte Pauls (SPD): „Vertreterinnen der Frauenmilchbank-Initiative haben uns, glaube ich, im Sozialausschuss ein bisschen aufgerüttelt [...] Wir haben uns die Frage gestellt, warum es diese natürliche Unterstützung für die Kleinsten nicht schon längst und überall gibt, wo es notwendig ist [...] Und wenn ich mir neben den ganzen psychischen und physischen Anstrengungen und Kämpfen der Frühgeborenen und ihrer Eltern die oft jahrelangen Behandlungen und deren Kosten anschaue, dann gilt das alte Sprichwort wieder -- Vorbeugen ist besser als heilen -- und in diesem Fall auch noch günstiger [...] Die Frauenmilchbank-Initiative e.V. hat sich das Ziel gesetzt, dass in Zukunft alle bedürftigen Frühgeborenen und kranken Neugeborenen in allen Teilen Deutschlands mit Spenderinnenmilch aus Frauenmilchbanken ernährt werden können. Diesem Ziel wollen wir uns als Sozialdemokrat*innen gerne anschließen.“

Dr. Marret Bohn (Bündnis 90/Die Grünen): „Das, was in Skandinavien schon seit Jahren gemacht wird, Frauenmilchbanken zu fördern, das wollen wir hier auch in Schleswig-Holstein tun [...] Ich finde, es ist ein Projekt, wo ich nur sagen kann, wir Grünen sind begeistert. Besser kann man es gar nicht machen, als sich gegenseitig zu helfen, untereinander zu gucken, ob ein Frühgeborenes dann doch noch eine bessere Perspektive für die Gesundheit hat, für den Start ins Leben  [...] Dass diese kleinen Menschen [die Frühgeborenen] es überhaupt schaffen, irgendwann mal groß und stark zu werden und hoffentlich gesund zu sein, das ist ein [großartiger] Fortschritt der Medizin. Ich finde es schön, wenn wir das unterstützen.“

Dennys Bornhöft (FDP): „Zwar ist der Aufbau und Betrieb der Spendenbank mit Kosten verbunden. Andererseits werden mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit Folgeerkrankungen und Spätfolgen bei den kleinen Menschen verhindert [...] Das erspart nicht nur dem Kind, sondern auch den Angehörigen Leid, was sehr, sehr wichtig ist [...] Deswegen ist es nicht nur wichtig, dass wir als Land hier ein Stück weit in Vorleistung gehen [...] sondern auch, dass wir in Richtung Bundesebene darauf hinwirken, dass das DRG-System, das sowieso reformierungsbedürftig ist [...] angepasst wird, auch hier bei der Muttermilch."

Zum Abschluss der Debatte erklärte Minister Dr. Bernd Buchholz (Wirtschaft, Verkehr, Arbeit, Technologie und Tourismus) in Vertretung von Dr. Heiner Garg (Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren) für die Landesregierung: „Für die Landesregierung steht fest, dass Frauenmilchbanken eine gute Sache sind. Wir wollen daher den Aufbau und die Inbetriebnahme von Frauenmilchbanken für Kliniken mit einem Perinatalzentrum Level 1 in Schleswig-Holstein prüfen. Im Zuge der Prüfung soll dann auch auf Finanzierungsmöglichkeiten eingegangen werden. Um den Betrieb von Frauenmilchbanken langfristig möglich zu machen, werden wir zudem den Austausch mit den Krankenkassen suchen und uns auch auf Bundesebene dafür einsetzen, dass die Betriebskostenfinanzierung von Frauenmilchbanken über die Krankenkassen ermöglicht wird. Damit würde der Betrieb von Frauenmilchbanken auf nachhaltige finanzielle Grundlagen gestellt.“

Hintergrundinformationen

Menschliche Milch ist die beste Nahrung für Neugeborene und kann insbesondere für Extrem-Frühgeborene überlebenswichtig sein. Wenn Mütter trotz optimaler Laktationsunterstützung nicht genug Milch haben, ist Milch von gesunden Spenderinnen aus einer Frauenmilchbank die beste Alternative.

Zwar hat die Zahl der Milchbanken in den letzten Jahren in Deutschland deutlich zugenommen, dennoch haben viele Frühgeborene nach wie vor keinen Zugang zu Spendermilch. Deutschlandweit gibt es Frauenmilchbanken an 31 von insgesamt rund 200 Kliniken, an denen kleine Frühgeborene behandelt werden. In Schleswig-Holstein gibt es aktuell nur eine kleine Frauenmilchbank am Universitätsklinikum in Lübeck, die jedoch mangels konstanter Finanzierung nicht alle Frühgeborenen, die keine oder nicht genügend Muttermilch bekommen, verlässlich versorgen kann.

Leitende Neu- und Frühgeborenenmediziner befürworten die flächendeckende Einrichtung von Frauenmilchbanken in Deutschland. Die größte Barriere stellen jedoch die Kosten für Aufbau und Betrieb dar. Viele Frauenmilchbanken konnten nur dank Privatspenden, Stiftungsgeldern oder Elternfördervereinen eingerichtet werden. Niedersachsen war bisher das einzige Bundesland, in dem der Landtag die Förderung von Frauenmilchbanken beschlossen hatte. Dort konnten seit dem Landtagsbeschluss im Dezember 2016 dank einer Landesförderung von 500.000 EUR Frauenmilchbanken an Kliniken in Hannover (Auf der Bult), Vechta (St. Marienhospital) und Wolfsburg (Klinikum Wolfsburg) entstehen.

Auch bei den laufenden Kosten sind Kliniken mit Frauenmilchbanken gegenüber Kliniken ohne Milchbanken finanziell benachteiligt, obwohl sie einen wichtigen Beitrag zur Krankheitsprävention und zum besten Gedeihen von Frühgeborenen leisten. Die Versorgung von Frühgeborenen mit gespendeter Muttermilch ist nicht gesondert im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen enthalten und im DRG-Entgeltsystem nicht abbildbar. Dadurch ergeben sich hohe Mehrkosten für die Kliniken, die durch den Betrieb von Frauenmilchbanken in die Prävention investieren.

 Die FMBI ist ein bundesweit tätiger gemeinnütziger Verein, in dem sich Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachkräfte, Hebammen und Still- und Laktationsberaterinnen für eine bessere Verfügbarkeit von menschlicher Spendermilch für Frühgeborene einsetzen. Die FMBI wurde 2018 gegründet und hat mittlerweile fast 70 Mitglieder in ganz Deutschland.

 
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