Artikel: Frauenmilchbanken vorgestellt

01.07.2020

In Deutschland gibt es ganz unterschiedliche Frauenmilchbanken. Einige können die eigenen kleinen Patientinnen und Patienten bis zur Entlassung aus der Klinik versorgen und noch andere Kliniken mitversorgen. Andere konzentrieren sich auf die Ernährung der Kleinsten und Bedürftigsten auf der Station. Einige Frauenmilchbanken haben eine lange Tradition, andere wurden erst vor Kurzem eingerichtet. Alle nehmen Spenderinnenmilch an und testen sie sorgfältig, um sie an bedürftige Früh- und Neugeborene abzugeben, deren Mütter keine oder nicht genügend Milch haben.

Sieben Mitglieder der Frauenmilchbank-Initiative (FMBI), die Frauenmilchbanken an Kliniken in Berlin, Hannover, Magdeburg, Potsdam, Saarbrücken und Ulm leiten, berichten über ihre Erfahrungen, die Besonderheiten ihrer Milchbanken und über die Bereitschaft der Spenderinnen.

„Ich habe in früheren Berufsjahren noch miterleben müssen, dass häufig Frühgeborene schwer oder sogar fatal an einer nekrotisierenden Enterocolitis erkrankt sind. Die Ernährung mit Frauenmilch bewahrt sehr viele Kinder vor diesem Schicksal,“ so Dr. David Szekessy, der ärztliche Leiter der Frauenmilchbank am Klinikum Westbrandenburg in Potsdam. 

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Frühgeborene, die mit Muttermilch oder Spenderinnenmilch ernährt werden, deutlich seltener an dieser Darmkrankheit leiden als diejenigen, die künstliche Säuglingsnahrung bekommen. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass menschliche Milch sich positiv auf die Hirnentwicklung auswirkt und die Abwehrstoffe in der Milch vor Infektionen und der Frühgeborenen-Retinopathie, einer Augenerkrankung, schützen.

Dr. Ralf Böttger, Neonatologe und Leiter der Frauenmilchbank am Uniklinikum Magdeburg, ist davon überzeugt, dass „menschliche Milch das medizinische Outcome deutlich verbessert“. Und Dr. Anja Neumann, ärztliche Leiterin der Frauenmilchbank in der Kinder- und Jugendklinik AUF DER BULT in Hannover, bestätigt: „Ich sehe die Vorteile für die Kleinsten jeden Tag.“ 

Neben den gesundheitlichen Vorteilen für die Empfängerkinder bieten Frauenmilchbanken Müttern von Frühgeborenen, die häufig nicht gleich nach der Geburt in die Milchbildung kommen, eine Entlastung. „Der Druck, schnell viel Milch produzieren zu müssen, fällt weg. Und wahrscheinlich schaffen es unsere Mütter gerade deshalb, in eine gute Milchproduktion zu kommen. Viele werden später auch Spenderinnen in unserer Milchbank“, erklärt Dr. Monika Berns, ärztliche Leiterin der Frauenmilchbank an der Charité in Berlin. 

 
 
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Monika Berns leitet seit vielen Jahren die Frauenmilchbank an der Charité in Berlin. Sie ist Neonatologin und IBCLC

 
 

Bereitschaft zur Milchspende

Leiterinnen und Mitarbeiter von Frauenmilchbanken berichten, dass viele Frauen bereit sind, ihre Milch zu spenden. „Ich bin immer wieder erstaunt und nachhaltig positiv beeindruckt, wie viele Frauen uns durch ihre Milchspenden uneigennützig unterstützen. Dazu in dieser so besonderen Lebenssituation bereit zu sein, ist alles andere als selbstverständlich“, so der Neonatologe David Szekessy aus Potsdam. 

Auch Dr. Lisa Schiefele, Neonatologin und seit Januar 2020 ärztliche Leiterin der Frauenmilchbank an der Uniklinik in Ulm, beobachtet, dass „die Bereitschaft Milch zu spenden bei den Müttern, deren Kinder von Spenderinnenmilch profitiert haben, in der Regel groß ist. Aber auch Mütter, deren Kinder keine gespendete Milch bekommen haben, sind erfreulicherweise oft bereit, einen Teil ihrer Milch zu spenden.“ 

 
 
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Die Neonatologinnen Lisa Schiefele (li.) und Stefanie Baranowski (re.) stellen die Frauenmilchbank an der Uniklinik in Ulm vor.

 
 

Eva Vogelgesang, pflegerische Leiterin der Kinderintensivstation und der Frauenmilchbank am Klinikum Saarbrücken, berichtet, dass es auf ihrer Station immer wieder Mütter von frühgeborenen Zwillingen gibt, „die so gut in der Laktation sind, dass sie ihre Kinder ernähren und zusätzlich noch spenden können. Das freut mich als Still- und Laktationsberaterin natürlich sehr.“ 

Die Neonatologin und Still- und Laktationsberaterin Anja Neumann aus Hannover kennt mehrere Mütter, die nach dem Versterben des eigenen Kindes ihre eingefrorene abgepumpte Milch zur Verfügung gestellt haben, um anderen Neugeborenen zu helfen. „Die Milchspende kann bei der Trauer um das eigene Kind helfen. Wir haben dazu sehr positive Rückmeldungen aus diesen Familien bekommen“, so Neumann. 

 

„Meist haben wir genug Spendermilch“

Die Frauenmilchbanken in Berlin, Magdeburg und Potsdam nehmen regelmäßig Milch von Spenderinnen an, die mit ihren Kindern bereits zuhause sind. Außerdem spenden Mütter, deren Kinder stationär in der Klinik behandelt werden. Die Frauenmilchbank am Klinikum Wolfsburg und die meisten Milchbanken in den östlichen Bundesländern funktionieren ähnlich. Einige Frauenmilchbanken, beispielsweise die in Potsdam und in Berlin, haben sogar einen Transportdienst, der die Milch von den Spenderinnen Zuhause abholt. 

Der Potsdamer Neonatologe David Szekessy, dessen Milchbank seit 1966 durchgängig Kinder mit Spenderinnenmilch versorgt hat, berichtet: „Meist haben wir genug Spendermilch. Gelegentlich rufen wir in den lokalen Medien zur Milchspende auf und konnten immer Mütter für die Milchspende gewinnen. Wenn wir einen Überschuss haben, geben wir auch gerne an andere Kliniken ab.“

Die Frauenmilchbank an der Charité existiert seit 1997 und bekommt so viele Milchspenden, dass sie zwei weitere Neonatologien in Berlin mit Milch beliefern kann. „Ich empfinde es als großen Erfolg, dass wir nun mehr Kinder in Berlin mit Frauenmilch versorgen können. Aus Kapazitätsgründen muss ich sogar jeden Tag mehreren Spenderinnen absagen“, so die Neonatologin und Still- und Laktationsberaterin Monika Berns.

Etwa ein Dutzend Frauenmilchbanken in Deutschland nehmen keine Milchspenden von außerhalb an, also von Müttern, deren Kinder nicht stationär in der Klinik behandelt werden. Die Gründe sind vielfältig. Einige neonatologische Abteilungen können den Eigenbedarf gut mit internen Spenden abdecken. Andere würden ihre Kapazitäten gern erweitern, um noch mehr kleine Patienten mit menschlicher Milch ernähren zu können und überschüssige Milch an andere Kliniken abzugeben, aber sie können die zusätzlichen Personal- und anderen Kosten nicht stemmen. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für den Betrieb der Frauenmilchbanken nämlich nicht. Manchmal stehen der Milchspende von außerhalb der Klinik auch Auflagen der Gesundheitsbehörde oder haftungsrechtliche Gründe entgegen.

Die Frauenmilchbanken in Hannover, Saarbrücken und Ulm existieren noch nicht lange und stützen sich komplett auf Spenden von Müttern, deren Kinder in den Kliniken stationär aufgenommen sind.

Dr. Stefanie Baranowski, Neonatologin und Gründerin der Frauenmilchbank in Ulm im April 2019, erklärt: „Da wir vor einem Jahr mit sehr wenig Personal, Räumlichkeiten und finanziellen Mitteln begonnen haben, haben wir erstmal nur Mütter als Spenderinnen aufgenommen, deren Kinder stationär bei uns versorgt werden. Wir können uns aber gut vorstellen, im Verlauf auch Spenderinnen von außerhalb anzunehmen.“ Die gesammelte Milch reicht aus, um alle kleinen Frühgeborenen und kranken Neugeborenen an der Uniklinik in Ulm mit menschlicher Milch zu ernähren.

Laut der Neonatologin Anja Neumann reicht auch im Kinder- und Jugendkrankenhaus AUF DER BULT in Hannover die klinikintern gesammelte Milch aus, um „den Bedarf unserer Frühgeborenen, die weniger als 1500g wiegen oder die vor der 32. Schwangerschaftswoche geboren wurden, abzudecken. Bei uns sind regelmäßig Stillberaterinnen im Einsatz. Nahezu alle Kinder werden gestillt, so dass der Bedarf an Spendermilch überschaubar ist“.

 
 
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Eva Vogelgesang, Stationsleitung und Leiterin der Frauenmilchbank am Klinikum Saarbrücken.

Frauenmilchbanken halten strikte Hygieneregeln ein, nicht nur während der Corona-Pandemie.

 
 

Zu wenige Frauenmilchbanken

Die Frauenmilchbanken haben also meist keinen Mangel an Spenderinnenmilch und einige können sogar andere Kliniken mitversorgen. Deutschlandweit liegt der Bedarf an Spenderinnenmilch aber deutlich über dem, was die Frauenmilchbanken aktuell anbieten können. Laut Informationen, die der FMBI vorliegen, betreiben nur 29 von insgesamt 211 Perinatalzentren (Level 1 und 2) eine Frauenmilchbank. Fast alle anderen versorgen Früh- und kranke Neugeborene, denen keine Muttermilch zur Verfügung steht, mit künstlicher Nahrung.

Die FMBI setzt sich dafür ein, dass alle bedürftigen Frühgeborenen in Deutschland einen sicheren Zugang zu Spendermilch aus einer Frauenmilchbank erhalten. Als ersten Schritt setzt sich die FMBI dafür ein, dass es in jedem Bundesland im Jahr 2023 mindestens eine Frauenmilchbank geben wird.

Um diese Ziele zu erreichen, informiert die FMBI die Öffentlichkeit über die Vorteile der Ernährung mit Mutter- und Spenderinnenmilch, fördert den wissenschaftlichen Diskurs und Erfahrungsaustausch in Fachkreisen und steht interessierten Kliniken beratend zur Seite.

Durch politische Überzeugungsarbeit setzt sich die FMBI dafür ein, finanzielle Hürden abzubauen, die viele Kliniken in Deutschland noch vom Aufbau einer Frauenmilchbank abhalten.

 
 
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